Biographische
Skizze von Oscar Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie. 2. Bd.
Leipzig: Duncker & Humblot,
1875, Seite 748-751.
Blumenbach: Joh.
Friedrich B., geb. 11. Mai 1752 in Gotha, studirte zu Jena und Göttingen,
von 1776 bis zu seinem, am 22. Januar 1840 erfolgten Tode Professor der Medicin in Göttingen. An seinen Namen knüpft sich die Begründung der
Anthropologie in dem Sinne, wie diese Wissenschaft gerade in der neuesten
Zeit ihren Ausbau erhielt, er gilt als einer der bedeutendsten
Naturhistoriker und war der erste Universitätsprofessor, welcher besondere
Vorlesungen über vergleichende Anatomie hielt. Bis in das höchste Alter
wirkte er anregend auf seine zahlreichen Zuhörer, unterstützt durch
philosophische und classische Gelehrsamkeit, seinen lebhaften Geist und
eine höchst originelle Persönlichkeit. In seiner allgemeinen
philosophischen Bildung basirte er auf Kant, nachdem ihm Baco und Spinoza
nicht fremd geblieben. Seine Naturforschung war daher im Sinne der Besten
seiner Zeit eine philosophische, und weit entfernt von dem bloßen
Aufzählen und Beschreiben, suchte er nach den Ursachen, wobei er Newton’s
Grundregel huldigte: Causas rerum
naturalium non plures admitti debere, quam quae et verae sint et earum
phaenomenis explicandis sufficiant.
Von Haus aus Mediciner nahm er früh eine feste Stellung zu einigen der
wichtigsten physiologischen Fragen. Er war ein eifriger Vitalist und
substituirte für die Lebenskraft die Namen „Bildungstrieb“ oder „nisus
formativus“.
Diesen definirt er als einen Trieb, „der sich vor aller blos mechanischen
bildenden Kraft (als welche auch im unorganischen Reiche Krystallisationen
u. dgl. hervorbringt) dadurch auszeichnet, daß er nach der endlos
mannigfaltig verschiedenen Bestimmung der organisirten Körper und ihrer
Theile, die vielartig organisirbaren Zeugungsstoffe auf eben so
mannigfaltig aber zweckmäßig modificirte Weise in bestimmte Gestalten zu
formiren vermag und so – durch die Verbindung des Mechanischen mit dem
zweckmäßig Modificirbaren in diesem Triebe – zuerst bei der Empfängniß die
allmähliche Ausbildung, dann aber auch die lebenswierige Erhaltung dieser
organischen Bildung durch die Ernährung, und selbst wenn dieselbe durch
Zufall gelitten haben sollte, so viel möglich die Wiederersetzung
derselben durch die Reproduction, bewirkt wird“. Hiermit ist auch zugleich
gesagt, daß er ein eben so entschiedener Epigenesist war, ein Gegner der
Evolutionisten, welche schon im Keim und Samen die ganze Vielfältigkeit
der Organe des künftigen ausgebildeten Lebewesens factisch enthalten sein
ließen. Er erklärt also die Entstehung der neuerzeugten organisirten
Körper „durch allmähliche Ausbildung (epigenesis)
des an sich zwar ungeformten, aber unter den dazu erforderlichen Umständen
organisirbaren Zeugungsstoffes“. Noch eine wichtige Grundanschauung
Blumenbach’s reiht sich hieran, welche er aus der übersichtlichen und
vergleichenden Erfahrung gewonnen hatte. Er huldigte nämlich nicht der
Linné’schen und damals der bis tief in unser Jahrhundert hinein
herrschenden Doctrin von der Constanz der Arten (die er „Gattungen“
nennt), sondern war, besonders nach den berühmten Cölreuter’schen
Versuchen, überzeugt, daß man wenigstens durch künstliche Bastarderzeugung
„endlich die eine Gattung von organisirten Körpern gänzlich in die andere
umwandeln“ könne. Gerade hiermit begründete er das Vernunftgemäße der
Epigenesis. Unter ihrer Voraussetzung allein erschien ihm, wie es ja in
der That ist, die Veränderlichkeit möglich, und diese eigenthümliche
Biegsamkeit des Organismus bildet auch die Grundidee einer seiner ersten
und wesentlichsten Arbeiten: „De
generis humani varietate nativa.“
Die Eiferer unserer Tage, welche außer sich gerathen, wenn wir den
Menschen an seine thierische Verwandtschaft erinnern, müssen daran gemahnt
werden, daß die Betonung dieses Verhältnisses durchaus keine Erfindung der
modernen Zeit ist. B. konnte zwar nicht Linné beistimmen, welcher sagte: nullum
characterem hactenus eruere potui, unde homo a simia internoscatur,
sondern meinte im Gegentheil, feste äußere Charaktere der Humanität
aufstellen zu können, abgesehen davon, daß „auch ohne dieselbe hoffentlich
nie ein Naturforscher in praxi
in Verlegenheit gekommen sein würde, Menschen und Affen etwa zu
verwechseln“. Aber seine ganze Behandlungsweise der Anthropologie bleibt
eine naturforschende. Die Menschen in der Stufenfolge der Thiere und die
Menschenrassen unter sich nach einem einseitigen Merkmal zu bestimmen,
hatten schon Daubenton und Peter Camper versucht, jener durch die Stellung
des Hinterhauptsloches zur Horizontalebene, dieser durch den allbekannten
Gesichtswinkel. Als specifische Unterscheidungszeichen sah B. den
aufrechten Gang an, die zwei vollkommenen Hände, das prominirende Kinn und
die aufrechte Stellung der unteren Schneidezähne. In der oben citirten
Schrift suchte er nun den Nachweis zu führen, daß nach denselben Gesetzen
und unter denselben Einflüssen, wie andere organisirte Körper, namentlich
die Hausthiere in Varietäten ausarten, auch die bekannten Völker aller
Zeiten von einer gemeinschaftlichen Stammrasse abstammen könnten. Die
Grenzen der fünf Rassen, in welche er das Menschengeschlecht
unterzubringen unternommen, sind jedoch sehr willkürlich. Sie sind: die
kaukasische, mongolische, äthiopische, amerikanische und malayische, und
von ihnen müsse, so meinte er, nach allen physiologischen Gründen die
kaukasische als die sogenannte Stamm- oder Mittelrasse angenommen werden.
Eine Ergänzung und Fortsetzung dieser anthropologischen Studien bildeten
seine Schädeluntersuchungen, wie sie in den „Decades
craniorum“
niedergelegt sind. Das große Verdienst dieser grundlegenden
anthropologischen Studien ist das Hervorheben des Totalhabitus, was hier
in einer weit glücklicheren Weise geschehen ist als, wie unten gezeigt
werden wird, bei der Ausarbeitung seines zoologischen Systemes.
B. begann sein Lehramt als Anatom und Physiolog. Die Anatomen der vorigen
Jahrhunderte waren jedoch, wie es in der Entwicklung ihrer Disciplin lag,
auch meistens vergleichende Anatomen, und so ist Blumenbach’s „Geschichte
und Beschreibung der Knochen des menschlichen Körpers“ voll von
vergleichenden anatomischen Bemerkungen, aus denen eine reiche
Selbstthätigkeit hervorleuchtet, während er in der Physiologie mehr die
allgemein bekannten Pfade wandelt. Dort war er daher auch schöpferisch,
und er kommt, so oft es geht, auf sein Grundthema, die allgemeine
Menschen- und Völkerkunde, zurück. Eine Aufgabe, welche jetzt noch nicht
gelöst ist, hat B. gestellt, die Charakterisirung des Gerippes nach den
Nationalverschiedenheiten der Menschenrassen.
Es ist schon bemerkt, daß man den Anthropologen B. nicht von dem
Naturforscher loslösen kann, und so beruht denn auch sein Ruf vornehmlich
auf seiner Wirksamkeit als Professor der Naturgeschichte. Sie erstreckte
sich über die drei Theile: die Mineralogie, Botanik und Zoologie; sein
Hauptfeld war aber die Thierkunde, welcher auch der weitaus größere Raum
in den vielen Auflagen und Ausgaben des Handbuches der Naturgeschichte
eingeräumt ist. Die Vorzüge der Behandlung sind in den obigen
Mittheilungen über Blumenbach’s allgemeinen Standpunkt schon enthalten. Es
ist in der That das erste nach modernem Zuschnitt auf umschauender
anatomisch-physiologischer Grundlage. Allein reformatorisch griff B. trotz
alledem nicht ein, weil er im wesentlichen das schwache Linné’sche System
beibehielt und damit bei der Durchführung der speciellen Systematik an der
Oberfläche haften blieb. Wenn wir nicht irren, ist der Ausdruck
„natürliches System“ zuerst von B. gebraucht worden; er will ein solches
dem künstlichen Linné’schen gegenüber begründen und dabei mehr auf den
„Totalhabitus“ sehen. Allein gleich bei der Eintheilung der Säugethiere
verfällt er in denselben Fehler, welchen er soeben an dem großen Schweden
getadelt hat, den der Consequenz in der Einseitigkeit. Hatte dieser sich
hauptsächlich an die Zähne gehalten, so legt er „vorzüglich die
Bewegungswerkzeuge, weil sie am leichtesten in die Augen fallen und dem
Totalhabitus sehr angemessen sind, zum Grund der Ordnungen“, wie es vor
ihm schon Ray und Pennant gethan. Ohne auf eine Aufzählung und Kritik der
Ordnungen einzugehen, sei nur erwähnt, daß er für den Menschen die schon
von Aristoteles gebrauchte Bezeichnung Bimanus,
für die Affen die Buffon’sche Quadrumana
einführte. Wie unglücklich die letztere, hat erst in neuester Zeit Huxley
nachgewiesen. Er stellte ferner zu den Ferae
außer den Insectenfressern auch die Beutler und vereinigte in der gänzlich
verfehlten Ordnung der Palmata
die Biber, Seehunde, Ottern, Schnabelthiere, Wallroß, Manate. Mit Recht
sagt daher Spix in seiner Geschichte der zoologischen Systeme, daß „dieser
Verfasser eines Werkes über vergleichende Anatomie sich in der Systematik
nicht im geringsten durch letztere leiten, sondern allein durch die
zufällige Aehnlichkeit nach dem Totalhabitus blenden ließ“. Und ferner: „Ueberhaupt
herrscht durch das Ganze nicht eine und die nämliche lebendige Ansicht,
welche sowol die Ordnungen, als auch die einzelnen Gattungen unverrückbar
an ihren Platz gestellt hätte, was doch sicher von diesem so
kenntnißreichen Naturforscher zu erwarten gewesen wäre, hätte es ihm
gefallen, auch in der Zoologie von seinem Studium der vergleichenden
Anatomie und Physiologie Gebrauch zu machen, was leider nicht geschehen
ist.“ Wir müssen dieses gerechte Urtheil noch dahin ergänzen, daß B. bei
seiner an Peter Camper erinnernden Vielseitigkeit und Vielgeschäftigkeit
auch nicht einmal so weit in die vergleichende Anatomie eingedrungen war,
um die systematische Zoologie auf jene wirklich zu basiren, und daß er bei
Herausgabe seines in Deutschland lange Zeit hoch angesehenen „Handbuches
der vergleichenden Anatomie“ (1805), des ersten, was überhaupt erschien,
in der ihm fast gänzlich verschlossen gebliebenen Anatomie der wirbellosen
Thiere von Cuvier schon völlig überflügelt war.
Die wichtigsten Werke Blumenbach’s sind: „De
generis humani varietate nativa“, Goett. 1775;
„Ueber den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäft“, 1781; „Handbuch der
Naturgeschichte“, 1779; „Geschichte und Beschreibung der Knochen des
menschlichen Körpers“, 1786; „Institutiones
physiologicae“,
1787; „Collectionis
suae craniorum diversarum gentium decades“,
1790-1820; „Abbildungen naturhistorischer Gegenstände“, 1796; „Handbuch
der vergleichenden Anatomie“, 1805.
Marx, Zum Andenken an Blumenbach, Gött. 1840,
mit einer Schilderung seiner originellen Persönlichkeit u. vollständ.
Schriftenverzeichniß.
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